Anastasia Khoroshilova

Menschen des heutigen Russlands und die Landschaft, in der sie leben, stehen im Zentrum des Werkes der 1978 in Moskau geborenen russischen Fotografin Anastasia Khoroshilova. Die in Köln lebende Künstlerin zeigt in der Kunsthalle in Lingen umfangreiche Fotoserien aus den letzten fünf Jahren. Khoroshilova bezieht sich unter anderem auf Sergej Lobovikov, einen der frühen „Russischen Meister der Kunstfotografie“, den der Kunstverein Lingen bereits 1995 mit Leihgaben aus russischen Museen ausstellen konnte. Seine Vintage Prints aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts zeigen ebenfalls Menschen, vor allem die damals gerade aus der Leibeigenschaft befreiten Bauern, und die Landschaft seiner Zeit.

 

Anastasia Khoroshilova hat in Deutschland studiert, wo sie auch ihre professionelle Laufbahn begann. Sie gehört zu einem Phänomen, das die aktuelle Kritik in Russland als „Postdiaspora“ bezeichnet. Damit sind die Künstler gemeint, die sich auf der internationalen Szene positionieren und arbeiten und sich nicht zu den Emigranten zählen, sondern auf ihrer russischen Identität bestehen, mehr noch – sie in ihrem Werk konstruieren. Eine solch ganzheitliche und zugleich komplexe Identität ist neu für die russische Kultur, die die Intellektuellen im vergangenen Jahrhundert unerbittlich vor die Wahl zwischen dem zur Isolation neigenden Mutterland und dem Gang in die Emigration stellte.

 

Anastasia Khoroshilova schreibt in einem Statement zu ihrer Serie „Die Bezhin-Wiese“: „Als erzählerische Grundlage [ … ] habe ich Episoden aus der russischen Kulturge­schichte ausgewählt. Sie alle sind von einem Streben der Autoren nach der Erforschung des Phänomens der russischen bäuerlichen Welt gekennzeichnet. Erstens zählen hierzu die „Aufzeichnungen eines Jägers“ von Ivan Turgenev und, vor allem, seine Erzählung „Die Bezhin-Wiese“, zweitens der von Stalin verbotene und vernichtete Film Sergej Eisens­teins „Die Bezhin-Wiese“ und letztens Vladimir Sorokins Roman „Roman“. All diese Werke handeln auf die eine oder andere Weise vom Leben russischer Bauern, vom Leben auf dem Land. Sie alle sind in einer Übergangsphase der russischen Ge­schichte entstanden, die voll von sozialen Widersprüchen war. Dies ist der Ausgangspunkt meiner Arbeit.“

 

Zu ihrer Serie „Islanders“, zu Deutsch etwa „Inselbewohner“, die der Ausstellung den Titel gegeben hat, sagt sie: „Als ehemalige Bewohnerin eines deutschen Internats kam ich auf die Idee, Menschen außerhalb ihrer Welt, ihrer Heimat zu fotografieren und mich mit den Leuten zu beschäftigen, die ihr Zuhause gegen gemeinschaftliches Wohnen eingetauscht haben. Für alle ist es ein zeitbedingter Zustand, der zu überbrücken oder zu genießen ist: in einigen Institutionen verbringen die Menschen freiwillig ihre Zeit oder verfolgen ein (karrierebedingtes) Ziel, in einigen landet man, weil es keinen Ausweg mehr gibt. Ob man in einem Waisenhaus wohnt und sich vor der Außenwelt schützen möchte oder auf einem Internat für Balletterziehung sich ausbilden darf, bleiben die Spuren dieser Zeit in der Psyche und in der Inneren Welt dieser Menschen für immer bestehen.“